07.06.2010: Wenn aus Buchstaben Punkte werden

ESSLINGEN: Ausstellung am Sehbehindertensonntag im Alten Rathaus - Verband fordert mehr Rücksicht und Anerkennung

In Deutschland gibt es nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Million sehbehinderte Menschen. Im Rahmen eines Aktionstages wurden gestern bundesweit Aktionen durchgeführt, um auf die Bedürfnisse von Sehbehinderten und Blinden aufmerksam zu machen. In Kooperation mit den Kirchen hatte die Bezirksgruppe Esslingen des Blinden- und Sehbehindertenverbandes (BSV) Ost Baden-Württemberg zu einer Ausstellung in die Schickardthalle des Alten Rathauses eingeladen.

Nur kleine Ausschnitte sind einigermaßen klar und farbig zu erkennen, alles andere bleibt im Dunkeln verborgen. Dort liegt mitten im Fokus ein großer, dunkelgrauer, diffus ausgefranster Fleck. Ein Plakat gleich neben dem Eingang zeigt anschaulich, wie unterschiedlich sich die verschiedenen Sehbehinderungen auf das Sehvermögen auswirken. Mit einer Simulationsbrille konnten Interessierte außerdem die Auswirkungen der Diabetischen Retinopathie nachempfinden. Nur fragmentarisch kann dabei ein Bild verarbeitet werden, vieles bleibt diffus oder verschwommen. Seit Mitte Februar ist Jürgen Krieger Leiter der Bezirksgruppe Esslingen des BSV. Er verfügt über zwei Prozent Sehkraft: „Das ist nicht viel, aber mehr als nichts.“ Besonders am Herzen liegt ihm die Öffentlichkeitsarbeit: „Wir wünschen uns mehr Anerkennung.“ Das kann im Alltag sein, wenn sich Sehbehinderte oder Blinde in der Öffentlichkeit bewegen und andere Fußgänger keine Rücksicht nehmen. Krieger fordert aber auch mehr Akzeptanz von Arbeitgebern: „Sehbehinderte können durchaus Bürotätigkeiten oder Schalterarbeiten übernehmen.“ Vieles habe sich verbessert, betont er aber auch. Gerade im Bereich der elektronischen Hilfsmittel gebe es enorme Fortschritte.

Lesegeräte als Unterstützung

Einige davon wurden bei der Ausstellung im Alten Rathaus vorgestellt. Fünf verschiedene Anbieter stellten Bildschirmlesegeräte, mobile Lesegeräte in der Größe einer Digitalkamera, Vorlesesysteme, Tastaturen mit Braille-Schrift und andere elektronische Hilfsmittel vor. Ein Ehepaar aus Aichwald interessierte sich besonders für die Neuerungen im Bereich der elektronischen Lupen. Seine Sehkraft sei auf fünf bis zehn Prozent reduziert, berichtet der Mann, der seit 10 Jahren ein Bildschirmlesegerät nutzt: „Ich bin schon mit dem Notwendigsten versorgt.“ Da er aber die Schrift stark vergrößern müsse, könne er beispielweise in Zeitungen nur noch die Überschriften lesen: „Alles andere sind dann nur noch Punkte.“ Auch Bücher zu lesen, sei mit dem alten Gerät schwierig, man müsse umblättern und sich dann mühsam wieder neu orientieren. Mit den neuen Geräten sei das deutlich einfacher. An der Ausstellung gefiel ihm besonders, dass er die Produkte der unterschiedlichen Anbieter direkt und in Ruhe miteinander vergleichen konnte. Denn wichtig sei, dass das Hilfsmittel auch zu den individuellen Bedürfnissen des Sehbehinderten passe. Jeder Sehbehinderte oder Blinde habe seine eigene Geschichte, erklärt Jürgen Krieger: „Manche Erkrankungen sind genetisch bedingt, andere durch einen Unfall oder als Folgeerscheinungen einer anderen Krankheit, zum Beispiel Diabetes.“

2011 wird die Bezirksgruppe übrigens 100 Jahre alt, das soll mit Vorträgen, einer Dunkelbar und anderen Aktionen gefeiert werden.

(Erschienen: 07.06.2010) von Elke Eberle

Quelle: Esslinger Zeitung