14.10.2010: Weißer Stock weist Blinden den Weg

Das Foto zeigt zwei blinde Männer mit dem weißen Stock

(Ravensburg/Weingarten/sz) Im Straßenbild trifft man nicht selten auf blinde oder stark sehbehinderte Menschen, die sich mit Hilfe eines langen weißen Stocks ihren Weg ertasten. Sie bewegen sich erstaunlich sicher. Doch wenn plötzlich ein ungeahntes Hindernis auftaucht, fällt ihnen die Orientierung schwer und sie sind froh, wenn ihnen jemand den Weg weist.

Von unserem Mitarbeiter Anton Wassermann

Diese Erfahrung mussten in den vergangenen Wochen Maria und Hans Jürgen Pahl oft machen, wenn sie in Weingarten Einkäufe erledigten. Dort geht der Umbau der Fußgängerzone jetzt in seine Endphase. Derzeit bekommt der Löwenplatz einen neuen Belag. Bauzäune und Berge noch unverlegter Pflastersteine säumen dort den Weg. „Wenn wir in ein Geschäft wollten, das nur über einen schmalen Brettersteg erreichbar war, taten wir uns schon schwer“, erzählt das Ehepaar, das sich seit vielen Jahren im Verband der Blinden und Sehbehinderten engagiert.

Hilfe nicht selbstverständlich

Die Pahls nehmen am öffentlichen Leben regen Anteil. Viele Weingartener kennen sie daher und haben auch keine Scheu, sie auf der Straße anzusprechen und ihnen Hilfe anzubieten, wenn es nötig erscheint. Doch selbstverständlich ist das nicht. Daher hat der Verband als Motto für den diesjährigen „Tag des weißen Stocks“ am heutigen Freitag den Begriff „Hilflose Helfer“ gewählt. „Wir stellen immer wieder fest, dass Leute unsicher werden, wenn sie Menschen mit Behinderung begegnen“, berichtet Hans Jürgen Pahl. Besonders auffällig sei das bei den Seniorentagen in Leutkich gewesen, wo er in seiner Funktion als Bezirksvorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenverbands an einem Informationsstand Hilfsmittel für den Alltag vorgestellt hat: „Da gingen viele Besucher tuschelnd an unserem Stand vorbei oder blieben stehen. Sie trauten sich aber nicht, mich anzusprechen. Da erklärten wir ihnen, dass wir sie zwar nicht sehen, aber sehr wohl hören können. Das hat viele Standbesucher aber eher noch mehr verunsichert.“

Das Ehepaar Pahl und weiterer Verbandsvertreter holten daraufhin ihre Spielkarten heraus und begannen, einen zünftigen Skat zu klopfen. „Da wollten plötzlich viele Leute wissen, wie das denn geht. Auf diese Weise entwickelten sich viele interessante“, erzählt Hans Jürgen Pahl: „Wir zeigten ihnen dann die Karten, auf denen Blinde ertasten können, welches Blatt sie in der Hand haben. Mit diesen Karten können aber auch Sehende spielen.“

Maria und Hans Jürgen Pahl unterstellen ihren sehenden Mitmenschen allerdings keinen bösen Willen, wenn sie Blinden auf der Straße nicht aus einer kniffligen Situation heraushelfen: „Die meisten Menschen haben einfach Angst davor, etwas falsch zu machen.“ Da müssten einfach die Blinden selbst die Initiative ergreifen und um Hilfe bitten. Am unbefangensten seien die Kinder. Daher gehen die Pahls immer wieder in Schulen und erzählen dort aus ihrem Alltag.

Kommunen reagieren gut

Ersprießlich sei auch die Zusammenarbeit mit den Kommunen; berichtet das Ehepaar: „In der Regel benachrichtigen uns die Bauverwaltungen, wenn irgendwo eine Baustelle eingerichtet wird, so dass wir diese Informationen an unsere Verbandsmitglieder weitergeben können.“

Sehr froh sind Maria und Hans Jürgen Pahl, dass die Linienbusse im Stadtverkehr Ravensburg/Weingarten mit automatischen Haltestellenansagen ausgestattet sind. „Hoffentlich zieht die RAB in ihren Überlandbussen bald nach; denn dort ist eine solche Ansage fast noch wichtiger. Wenn wir in einem fremden Ort an der falschen Haltestelle aussteigen, sind wir völlig aufgeschmissen. In Weingarten und Ravensburg kennen wir uns aus.“ Auch Kisslegg ist für sie ein vertrautes Pflaster, weil hier der Bezirksverband alle vier Wochen seinen Stammtisch für Blinde und Sehbehinderte abhält. “

(Erschienen: 14.10.2010 17:55)

Quelle: Schwäbische Zeitung