Das Unmögliche möglich gemacht
Heilbronn Im ehemaligen Bahnwärterhäusle Sonnenbrunnen in Böckingen ist jetzt Beratungsstelle für Blinde und Sehbehinderte
Von unserer Redakteurin Katharina Müller
Dass sich bei einer Einweihungsfeier jeder Gast namentlich vorstellt, erlebt man als sehender Mensch selten. Bei Veranstaltungen des Blinden- und Sehbehindertenverbandes (BSV) ist das jedoch üblich. Auf diese Weise erfährt jeder, wer im Raum ist und wo er ungefähr sitzt oder steht, erläutert Wolfgang Heiler, BSV-Bezirksgruppenleiter in Heilbronn bei der Eröffnung des Beratungshäusles am Sonnenbrunnen. Hier ist ab sofort die zentrale Anlaufstelle der Bezirksgruppe für Treffen, Veranstaltungen und Kurse. Zudem zieht im ersten Stock die Beratungsstelle „Blickpunkt Auge“ ein. Dieter Müller ist dort Ansprechpartner. Zahlreiche Besucher konnten sich am Wochenende ein Bild von den neuen Räumen machen.
Neue Mitte Wolfgang Heiler kann es noch immer nicht ganz glauben, dass das ehemalige Bahnwärterhäuschen – 1878 erbaut – an der Haltestelle Son-nenbrunnen nun wirklich bezugsfertig ist, erzählt er. Alles begann 2017. Damals war die BSV-Bezirksgruppe bereits seit zehn Jahren Mieter des Anbaus am Bahnwärterhäuschen, um dort Tandemräder unterzustellen. Als die Planungen für die neue Böckinger Mitte begannen, wollte Heiler sich einbringen und schlug vor, das denkmalgeschützte Bahnwärterhaus zu einer Beratungsstelle auszubauen. Es folgten viele Gespräche mit dem Vorstand des BSV Württemberg und der Stadt. Die Finanzierung musste geklärt werden. Im Frühjahr 2018 war dann klar: „Wir probieren es.“ Das Heilbronner Architekturbüro Riemer wurde mit ins Boot geholt. Aber auch viele Mitglieder der Bezirksgruppe halfen fleißig mit. An einem Tag haben sie zum Beispiel zusammen mit sehenden Helfern das alte Gebäude entrümpelt, berichtet Heiler. „Unglaublich, wie viel Masse in so ein Haus geht.“
Bei den anschließenden Bauarbeiten kam es dann immer wieder zu Verzögerungen. Doch schließlich ist es gelungen.
„Wolfgang Heiler und viele Ehrenamtliche haben das Unmögliche möglich gemacht“, fasst es Angelika Moser, Vorsitzende des BSV Württemberg zusammen. Als sie die große Summe – Heiler schätzt die endgültigen Kosten auf 350. 000 bis 370 .000 Euro – zum ersten Mal hörte, habe sie sich viele Sorgen gemacht. Doch Heiler habe es geschafft, genug Fördergeld und Spenden zusammenzubekommen, um den Umbau zu finanzieren. „Das kann man nicht genug würdigen“, sagt Moser. Auch einige weitere Gäste bringen in Grußworten ihre Bewunderung zum Ausdruck, bevor der evangelische Pfarrer Jochen Rexer und sein katholischer Kollege Diakon Carsten Wriedt den Segen für das Beratungshäusle sprechen.
Freude Von Wolfgang Heiler fällt nach der Einweihung eine „Teillast“ ab, wie er sagt. Jetzt beginne die Freude daran, das Haus mit Leben zu füllen. Toll sei auch, dass er Beratungen jetzt nicht mehr zu Hause abhalten müsse und das Haus so gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist.
Bildbeschreibung: Beratungen, wie hier für Beate Matt, kann Wolfgang Heiler jetzt in den neuen Büros anbieten und muss nicht mehr seine privaten Räume nutzen. Foto: Andreas Veigel
Auch die Blickpunkt Auge Beratung sei ein echter Gewinn für die Stadt und den Landkreis. Es handelt sich dabei um ein niederschwelliges Angebot für alle, die Probleme mit dem Sehen haben und sich nicht gleich an den BSV wenden möchten. Dieter Müller erläutert zum Beispiel Diagnosen, gibt Tipps zur Alltagsbewältigung und informiert über Hilfsangebote.
Info Blickpunkt Auge
Die Beratung findet mittwochs von 14 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung statt. Telefon 07131 2056102, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Adresse Das Beratungshäusle am Sonnenbrunnen hat nicht irgendeine Adresse. Sie ist im Karls-Anspach-Weg 1. Karl Anspach, selbst im Alter von acht Jahren durch eine missglückte Operation erblindet, war ein Vorreiter der Blindenhilfe. Durch ihn wurde die Heilbronner Blindengenossenschaft einst zur größten in Deutschland. Anspach starb am 1. Mai 1941 im Alter von 51 Jahren in Heilbronn. Zur Einweihung der neuen Beratungsstelle waren auch Enkel von Karl Anspach gekommen. "Wir freuen uns sehr über die Würdigung unseres Großvaters", sagt Rosemarie Längle-Sanmartin.
Quelle: Heilbronner Stimme vom 2. Dezember 2019